Das patriarchale Stockholm-Syndrom Teil III

Die Duldung männlichens Gewaltverhaltens als kollektives Merkmal der Patriarchose

Die menschliche Gefahr für das Leben auf unserem Planeten ist männlich! Heute nennen wir es bereits toxische Männlichkeit, um einerseits auf die Gefährlichkeit hinzuweisen und andererseits um den Männern, die sich nicht an den Machtspielen beteiligen möchten, die Möglichkeit zu geben, sich von bestimmten Geschlechtsgenossen abzugrenzen, die dieses toxische Moment (bewusst) ausleben. Aber auch das kann trügerisch sein. Denn da metzelt mal wieder einer seine Frau nieder und hinterher wundern sich die Nachbarn, da er ja immer so freundlich grüßte.

Die patriarchale Gesellschaft, in der wir leben, hat ein durchgängiges Gewaltproblem. Die Gesellschaft stellt sich in verschiedenen Kulturmustern dar, aber alle tolerieren gewisse Formen von Gewalt bzw. finden tausende Regeln, was gerade noch geht oder eben für den sozialen Zusammenhalt nicht mehr zuträglich ist. Manche Einzeltäter werden zur Rechenschaft gezogen, andere finden Schlupflöcher, wieder andere haben überhaupt kein Unrechtsbewusstsein für ihre Gewaltbereitschaft, Denkweisen und Taten, da sie im androzentrierten Klima der verinnerlichten Patriarchose aufwuchsen.
Frauen sind übrigens von dieser Prägung ebenfalls betroffen, obwohl sie ständig potentielle oder ganz konkrete Opfer sind. Es ist für eine Frau normaler Alltag einem möglichen (Einzel)Täter zu begegnen, mit ihm u.U. Bett und Tisch zu teilen oder von Kindheit an in ihrem Umfeld Über- oder Angriffe auf ihre körperliche und psychische Unversehrtheit erdulden zu müssen. Wir erleben, wie andere diskriminiert, misshandelt oder verletzt werden ohne eine Handhabe zu haben, einzuschreiten, zu verhindern oder zu schützen. Gewalttäter aller Art sitzen nicht nur gefühlt am längeren Hebel, das ist ein Motor und Marker des Patriarchats.
Patriarchat ist Vater-, genauer gesagt Väterherrschaft und uns wird heutzutage mehr denn je eingeredet, dass diese Vateridee den Prototypen eines Fürsorgers darstellt. Der (gottgleiche) Vater ist immer für die Seinen da. Wer die aber sind wurde eigentlich nie dezidiert geklärt.
Der privilegierte patriarchale Mann sucht(e) sich seine Familie aus!
In einem männlichen Erwachsenenleben sind in der Regel die Seinen, zu denen er öffentlich steht, kaum unmittelbare Angehörige. Mann verbringt seine Zeit mit nichtverwandter Wahlverwandtschaft bzw. freiwillig oder fremdgesteuert in Zweckgemeinschaften, die anfangs aus Unbekannten bestehen. Denn das Kriterium des Zusammenlebens waren(sind) ursprünglich die konsanguinen Angehörigen, die Bindungsverwandten in den Matrifokalen. Bindungsverwandtschaft bezeichnet hier die essentielle Mutterherkunft der zu- bzw. angehörigen Sipplinge eines Matrifokals. In patriarchösen Strukturen wurde/wird nicht nur die Mutterbindung unterdrückt sondern auch die geschwisterliche Zugehörigkeit zerstört. Ein Wesenszug der (modernen) Patriarchose ist die Vereinzelung der Jugendlichen ins autarke Erwachsenenalter. Da es schon keine Herkunftssippen mehr gibt, lassen die junge Erwachsenen ihre Herkunftsfamilien hinter sich, um der kulturellen Deadline zufolge einen oder eine Abfolge von Lebenspartnern zu finden und um eventuell eine Familie zu gründen. Die Familie genießt in unserer Kultur ein relativ hohes Ansehen, da diese Form des Zusammenlebens als unhinterfragter Standard unsere Gesellschaft trägt. Da das Patriarchat durch die androzentrierte Dominanzkultur getragen wird, bleibt der Mann der Privilegling im kollektiven wie im persönlichen Leben, auch wenn sich das für den Einzelnen nicht immer so anfühlt. Der Mann gab sich einst im Patriarchat das Privileg eine Familie zu gründen, sie zu erhalten oder zu zerstören oder zu vererben. Die Mitglieder dieser Familie, die anfangs wirklich nur Zwangs- bzw. Zweckgemeinschaften und Teil des Machtgefüges eines Herrn (Paters) waren: Sklaven, Geiseln, Lohnsklaven, Verbündete und Patriverwandte und die in die Hierarchie eingegliderten Frauen und ihre Kinder. All diese, einer familia beigefügten, Menschen wurden von ihrem Herrn verwaltet und ernährt. Er konnte sie lieben, dulden, verstoßen, wieder annehmen, misshandeln, in manchen Fälle sogar töten und es gab in diesem System von Anfang an keine Fürsorgegarantie für einzelne Personen. Der (privilegierte) Mann hat im androzentrieren Patri-Unversum prinzipiell die Macht und ihm wurde/wird nur Einhalt geboten, wenn er anderen Macht-Männern in die Quere kommt.
Der pater familias hielt/hält sich eine Hausgemeinschaft und es ist unerheblich, ob aktuelle Gesetzgebung ihn mehr oder weniger verbindlich auffordert, ein eingegangenes Bündnis wie eine Ehe, auch ernstzunehmen. Als Versorger und Halter von Frau und Kind schuf sich der patriarchale Mann zwar eine Art Basislager unter seiner Herrschaft, aber auch gewisse Zwänge, allerdings immer mit der Option, diese auch unterlaufen zu können. Es ist also nicht verwunderlich, dass der patriarchal privilegierte Mann bis heute die Macht und damit die Kontrolle behalten möchte, denn am Prinzip wurde nichts verändert. Der gesamte patriarchöse Kodex ist im wahrsten Sinn des Wortes widernatürlich gestaltet. Sämtliche patriarchale Sozialkonstrukte sowie der überwiegende Teil der Gesetzeslagen, schaufeln ideologische, politische und wirtschaftliche Macht auf die männliche Seite und entziehen Müttern nicht nur die selbstverständliche Teilhabe, sondern vor allem die Grundlagen wirtschaftlich selbstbestimmt (und damit im matrifokalem Sinne) ihren Nachwuchs aufzuziehen. Die persönliche sowie kollektive Abhängigkeit, also auch außerhalb des privaten, von einem Vater (als Prototyp des Familienoberhauptes, in der vorhandenen Machthierarchie, im Kontext von Religionsideologien), in wirklich allen denkbaren Bereichen, ist der Unstern unter dem Mütter und Kinder leben müssen.

Der Vater ist eine kulturelle Kunstfigur, die zwar durch sozial anmutende, aber letzten Endes immer durch das herrschaftlich aufgestellte Regelwerke gesteuert (siehe u.a. diverse Religionen, Kastensysteme, biologistische Klischees), aber im patriarchalen Gesamtkontext als gut etabliertes Dogma verortet wurde. Ein Dogma, dass weder als human (menschenfreundlich), noch als naturgemäß (generell lebensfreundlich) daherkommt. Die dem Pater gewidmete Familie ist, als sein Mini-Herrschaftsbereich, historisch gesehen bereits als relativ rechtsfreier Raum konzipiert und zwar bis in unsere Zeit. Kein Mann/Vater/Pater/Herr durfte als Täter in der häuslichen Idylle benannt werden, es sei in der Hierarchie stand/steht jemand über ihm, der seine Ansprüche geltend machen und eingreifen konnte. So wird auch heute noch euphemistisch von Familiendrama oder beschwönigend von häuslicher Gewalt gesprochen, statt die begangenen Gewalttaten samt Täter deutlich zu benennen. Was oft nur bei einer finalen Eskalation der Fall ist, vorher bestand/besteht idR kein öffentliches Interesse an einer Strafverfolgung von Gewalt im sozialen Nahbereich. Hier wird sich immer noch auf Beziehungsstreitigkeiten herausgeredet.

Wikipedia Stichwort Familie
Die Begriffe familia und die zugehörige soziale Zentralposition des pater familias waren Herrschaftsbezeichnungen, die Machtverhältnisse bzw. unterschiedliche Aspekte von Machtverhältnissen anzeigten.[8] Der biologische Erzeuger (Vater) hieß genitor, nicht Pater.[8] Bereits in den indogermanischen Sprachen stand Pater nicht für leibliche und materielle Aspekte einer Vaterschaft, sondern für „Schöpfungskraft“ und „übernatürliche Kräfte“ jenseits der reinen Fruchtbarkeit eines Mannes.

Im Patriarchat gibt es reichlich Differenzierungen, wenn es um Täterschaft geht und Gewalttaten sind immer an die Deutungshoheit einer Herrschaftsmacht geknüpft. Die Ideologie des Verbrechens ist der aktuellen Moral unterworfen. Treten Täter unter einem gemeinsamen Motto auf und begehen kollektiv Gewalttaten gegen das Leben, sogenannte Straftaten, kamen/kommen sie sogar u.U. leichter davon, als so manche Einzeltäter (auch noch heutzutage). Dazu kommt, dass Militärs, Polizei, Milizen, Rebellen, Umstürzler aller Art gern „gute Gründe“, also Argumente für jede Art ihrer gewaltvollen Vorgehensweise haben und diese damit rechtfertigen.

Für das Durchsetzen von Anordnungen, Befehlen oder (göttlichen) Geboten wird in der Regel die Vorstufe der Gewalt, die Drohung, angewendet. Da hatte/hat das einzelne Mitglied einer größeren Bruderschaft, besonders wenn diese als legitimierte Exekutive gilt, schnell mal ein Ausrede für brutales oder gar sadistisches Vorgehen. In maskulinen eingeschworenen Gruppen (aller Art) werden aus potentiellen ruckzuck richtige Täter. Das Urverbrechen, das die Patriarchose erschuf und so zu der eigentlichen Erbsünde wurde, ist jedoch, noch vor dem Töten, die Geiselnahme!
Der MannMensch eignete sich tierische Lebewesen als Besitz an sowie seinesgleichen und hier vor allem die Mensch (die Frau und Mutter), als verfügbare Objekte an. Er unterwarf/unterwirft sie gänzlich seinem Willen. Die gesamte patriarchale History, die aus dem Halten von Vieh und Sklaven hervorging, wurde zum Selbstläufer mit permanent ausgeübter Gewalt als Motor.

Warum nimmt ein Mensch andere Menschen gewaltsam und skrupellos als Geiseln? Und müssen wir das als einen kriminellen Ausrutscher eines Einzelnen sehen oder ist dieses Gebaren eben doch eine tradierte (gesellschaftlich anerkannte) Spielart der männlichen Gewaltäußerung? Warum läuft von Zeit zu Zeit (meist) männliches Verhalten, auf kriminelle Art aus dem Ruder? Weil der Mensch (Mann) von Natur aus so ist und nicht anders kann, als seinen Aggressionen manchmal freien Lauf zu lassen und daher eben nur durch einen Gewaltausbruch seinen Affekten Ausdruck verleihen kann?
Wohl kaum!
Wieso also ist uns als aufgeklärte Gesellschaft nicht bewusst, dass die Quelle dieser kriminellen und damit enthemmten Handlungen auf eine grundsätzlich patriarchöse Vorgabe – die Erlaubnis, als Mann gewalttätig sein zu dürfen – zurückzuführen ist? Dass es sich dabei immer um eine Dimension der Geiselnahme handelt, die der patriarchale Mann (ob okkult oder exzessiv) ausleben kann, auch oder vor allem, als Vater?

Der kulturhistorische Mann, der die Waffengewalt für sich entdeckte, der anderen Lebewesen seinen Willen aufzwang, der Ideologie-Religionen ersann und das Staatswesen erfand, der eroberte und Reiche gründete, um seine Macht und damit sein persönliches Überleben zu sichern; der den tödlichen Kampf ‚Mann gegen Mann‘ heilig sprach und das Fortführen von Frauen und ihren Kinder als Kriegsbeute legitimierte; der also Kraft seiner selbst geschaffenen Privilegien das Weibliche als Geisel nahm und nimmt; der bis heute die Frau als Mensch und als Mutter um ihre Fruchtbarkeit beneidet, ihre Sexualität zu seinem Pläsier ausnutzt und ihre Arbeitskraft ausbeutet – dieser MenschMann erfand den Vater als Idol und den omnipotenten Gott. Damit schwang er sich im Rahmen der nun von ihm, nachhaltig installierten Vateridee zum Besitzer des Muttergeborenen Menschenkindes und aller anderen Lebewesen auf.

Die größte Gefahr, die auf unserem Planeten vielseitig das Leben bedroht, geht von der patriarchösen Kulturversion der menschlichen Spezies aus. Die Gefärdung ist nicht der Mensch als solches und DIE Mensch, also die biologisch weibliche Grundversion, schon mal gar nicht, sondern DER Mensch, der Mann, der aus Jagdwaffen Angriffswaffen entwickelte, dafür Erz grub, einschmolz, bearbeitete und eine erste Waffenproduktion startete. Zu dem Zeitpunkt war die Verrohung diverser männlicher Individuen bereits „passiert“, denn sich das Leben untertan zu machen, führte zur Abspaltung vom matrilokalem Sippengefüge und sukzessive zur Verrohung und einem empfindlichen kollektiven Empathieschwund im Alltag. Der Mann gab sich selbst einen rein maskulin bezogenen Kodex, erfand passende Lehrmeinungen und mythische Erklärungen … und er legte diesen im einzelnen nach seinem Gusto aus. Damit förderte der so toxisch gewordene Mann jede Form von Gewaltverhalten und seine Hingabe an seine aggressiven Affekte.
Die Gewaltkultur, die der patraiarchale Mann schuf, ist uns so vertraut, dass wir sie im Alltag kaum noch als solche wahrnehmen – Gewalt übersehen, verdrängt und entschuldigt. Gewalt ist zu Spiel und Spaß mutiert. Gewalt ist Unterhaltung und Geschäft. Und sie findet nach wie vor überall statt – selbst als biedere Alltagsidylle in jedem unserer Kinderzimmer.

Stephanie Ursula Gogolin, Lüneburg 18.01.2020

Links zum Femizid:

https://www.nzz.ch/international/wie-europa-gegen-frauenmorde-kaempft-ld.1532633?fbclid=IwAR2cNEGMxBaY8HfcLr1OS-xVkv7UVkQLcrjqfngmpXoqAeEixzMgF0g12oU

https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/stgallen/eine-frau-zu-sein-ist-gefaehrlicher-als-was-sie-ueber-gewalt-gegen-frauen-in-der-schweiz-wissen-muessen-ld.1171669?fbclid=IwAR38YfOH5M7chSrQqnqBvlfd7vkW2Ajlr8qAaJzGc1I3mdoRm_RxpBu82Gs

Stockholm-Syndrom Teil Eins und Zwei:

Das patriarchale Stockholmsyndrom Teil I

Das patriarchale Stockholm-Syndrom Teil II

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5 Gedanken zu “Das patriarchale Stockholm-Syndrom Teil III

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