Das patriarchale Stockholm-Syndrom Teil II

Die Ehe – ein verinnerlichtes Stockholm-Syndrom

Wir heutigen Frauen sind die Nachfahrinnen der einst verschleppten Töchter, der entführten und versklavten Mütter der frühen andro-patriarchalen Machtsysteme …

Die amorphe anonyme Großgesellschaft, die als Patriarchat beschrieben wird, setzte sich, seit sie gebildet wurde, aus einer Machtclique, dem breiten Teil an zuarbeitenden Strebern (die dem Vorbild der Mächtigen folgen und deren Lebensstil anstreben) und den Kollateralen, den Geopferten, denen man als Individuum oder als Gruppe gleich von vorn herein oder durch kulturelle Ungerechtigkeiten, Freiheit und Selbstbestimmtheit verwehrt und die so per „Schicksal“ aus dem relativen Wohlleben herausfallen. Dabei ist es unerheblich welches der gesellschaftlichen oder religiösen Idealen gerade vorherrschen, das patriarchale System besteht aus den Privilegierten (nennen wir sie Patriarchen) und den Beherrschten und Unterdrückten (nennen wir sie Kollaterale oder auch Opfer).
Von Zeit zu Zeit verschieben sich die Machtverhältnisse von unten nach oben, aber das sind in der Regel nur Variationen innerhalb der androzentrierten, patriarchösen Strukturen. Bei dieser meiner Beschreibung argumentiere ich im Rahmen der bekannten männlichen Machtspiele. Die Frau, die Mutter und ihre Kinder, wurden zu keiner Zeit einbezogen oder gleichwertig behandelt. Sie ist/sind der Kollateralschaden. Sie blieben die willkürlich benutzten Figuren im Strategiespiel der Mächtigen, selbst wenn die eine oder andere Frau im Ranking der Macht es zufällig mal bis nach oben schafft.

Auch wenn es regierende Pharaoninnen, Königinnen, Kaiserinnen oder heute Politikerinnen gibt, die einen großen Einflussbereich und exekutive Macht besitzen, ist das auch nur auf Grund von Gewaltenbündelung in einer Hand möglich und ist somit eine Spielart des Patriarchalen Prinzips, das da lautet: andere Lebewesen (auch die eigene Spezies) werden beherrscht.
Selbst wenn es eine milde Herrschaft sein sollte, es ist immer noch HERRschaft. Die betroffenen Mitmenschen haben eine beschränkte Selbstbestimmung und sind von Geburt an einer umfassenden Konditionierung und der Kontrolle in einem Machtbereich unterworfen.

Das Patriarchat hat uns Menschen mehr beschert, als nur die Herrschaft der Väter. Es erschütterte unsere uns eigene Natur, indem das Mutter-Kind-Kontinuum per se zerstört und als irrelevant erklärt wurde. In der Patriarchose überführte mann uns, die Mensch, weg vom Naturgeschehen der matrifokalen (evo-biologischen) Lebensweise, in ein androzentriertes Kulturkonzept mit hierarchischen Aufbau und einem Machtgefälle, das nur ganz wenigen nützt und damit das Gros der Menschen zu Kolleteralen machte, zu Opfern, also permanent Unterdrückten und damit zu Dauer-Geiseln.

Einst generierte sich der Mann selbst zu einem Hirtenkrieger – einem Einzelkämpfer mit der Option Verbündete für seine Ziele (Egotrips) zu gewinnen. Ein (unsozialer) Solitär, der nicht mehr als (biologisch gebundenes) Individuum von der Fürsorgegemeinschaft naturgemäß abhängig ist, sondern statt dessen eine Fürsorgegruppe, auf Grund seines Gewaltpotential von sich abhängig macht. Der Sündenfall schlechthin! Der patriarchale (privilegierte) Mann ist nicht mehr Teil eines Matrifokals, sondern er hält sich eine Familie.

Im kooperierendem, artgerechten, also ursprünglichen Menschsein, agierten Frau und Mann im Alltag einer konsanguinen Angehörigengemeinschaft als Geschwister. Und zwar im Sinne des gemeinsamen Überlebens und zum Wohle der nächsten Generation. Im konkurrierendem und sich bekriegendem Patriarchat gab es keine gemeinsame nächste Generation mehr.
Der sich als autark erklärte Mann führte Besitz und Eigentum ein und das Menschenkind, der Sippen-Nachwuchs, wurde Teil dieser Konzeption.
Das Kind wurde vom Mann, der jetzt als Vater agierte, annektiert und zu seinem Besitz erklärt.
Die Schwester war nicht länger die Gefährtin im Alltag – sie wurde zur Frau eines anderen Mannes.
Die generationsübergreifende Ur-Geschwisterlichkeit ging im patriarchalen Kampf um die Ressource Frau verloren.

Da der Mann nur mit der scheinbaren Gewissheit seiner Vaterschaft zum (besitzenden) Vater werden konnte, musste er die sogenannte Fruchtbarkeit (s)einer Frau – das Schwangersein können, Gebären und Nähren – unter Kontrolle bekommen und diese Kontrolle auch behalten. Einmal als einzelner Mann mit der kreierten Etikettierung als Vater und kollektiv als politisch/ideologisch installiertes Vater-Ideal.
Der vom natürlichen Matrifokal abgespaltene Mann und nun als der (patriarchale) Vater, strebte keine Rolle als zusätzlicher sozialer Fürsorger (wie einst als Mutterbruder) eines Kindes an, sondern zelebrierte sich als dessen Eigentümer. Die Mutter des Kindes wurde der menschenartgerechten Ausübung ihrer natürlichen Bindungskompetenzen weitgehend beraubt und nur formal und strukturell blieb sie die sorgende Mutter, da es für eine Mutter keinen wirklichen Ersatz gab/gibt. Im sich mehr und mehr ausbreitendem Patriarchat erklärte mann das Muttersein zur temporären Rolle, die einer Frau verliehen wurde und die sie spielen durfte, wenn es dem Herrn und vermutlichen Vater der Kinder gefiel. Dieses Level ist das Endergebnis des väterlichen (und damit maskulinem) Eingreifens – die uns immer noch vertraute Väterübergriffigkeit des patriarchösen Mannes. Das evolvierte Naturleben von Frau und Kind wurde unter dem Eindruck einer dauerhaften Gewaltkultur zu einem permanenten Geiselstatus.

Wikipedia: Für den heutigen Familienbegriff gab es im Lateinischen – genau wie im Griechischen – kein Wort: „In keiner ihrer Bedeutungen war familia also die Kernfamilie, bestehend aus Vater, Mutter, Kindern.“
Die Begriffe familia und die zugehörige soziale Zentralposition des pater familias waren Herrschaftsbezeichnungen, die Machtverhältnisse bzw. unterschiedliche Aspekte von Machtverhältnissen anzeigten.

In den skrupellos etablierten patriarchalen Strukturen verschwand für den Mann sukzessive die Frau als Sinnbild von Mutter und Schwester und tauchte als Sklavin, Magd und Ehefrau sowie (Vater)Tochter wieder auf. Die eigene Mutter eines Mannes war letztlich auch nur die (Ehe)Frau des Mannes, der als der eigene Vater galt. Im patriarchösen Sippengeschehen war sie, die Mutter bzw. jede Mutter, eine fremde (möglichst nichtverwandte), eingeheiratete Frau, die dem patrilokalen Sammelsurium einer jeden Profan-Dynastie hinzugefügt wurde. Unabhängig von tatsächlichen biologisch/genetischen Fakten (die in jenen Zeiten im Detail unbekannt waren), war der Mann, der als der Vater galt, der Herr über Frau und Kind sowie über andere Angehörige und Gesinde unter seinem Dach (siehe der römische pater familias) und sei es noch so ärmlich. Der Mann als Protagonist der Patriarchose, wollte und brauchte in seinem entmutterten Alltag die Frau nicht mehr als geschwisterliche/mütterliche Vertraute und kooperierende Lebensgefährtin, sondern als Verfügungsobjekt für sein nun androzentriertes Dasein. Lebte er doch als Mann in Erwartung auf seine potentielle Anwärterschaft der patriarchalen Macht und daher außerhalb seiner einstigen Fürsorgegruppe: konkret körperlich und geistig ideell.

Der zum Patriarchen mutierende Mann fing als Hirte an. Zwar gehörte er anfangs noch zur matrifokalen Angehörigengemeinschaft (Muttersippe), aber durch das Herumziehen mit seinen Herden nahm vermutlich eine nomadische und ungebundene Entwicklung ihren Lauf (und irgendwann bestimmt ohne permanenten Kontakt zu seinem Herkunftsmatrifokal).
Eine Parallelkultur setzte ein, in der der Mann (als geschlechtliches Individuum und gesellschaftlicher Täter) allmählich überrepräsentiert war und dabei mit seinesgleichen einen eigenen Verhaltenskanon (später sehr gut zu sehen an den Zehn Geboten) entwickelte und so das hierarchische Sozialgefälle installierte, welches Frauen ausschließt und den Mann in eine andauernde Wettbewerbskultur und Konkurrenz zwingt. Ab hier war der Schritt nicht weit, dass einige der Gruppierungen das entwickelten, was wir heute Kriminalität nennen und manch einer der als Outlaw begann (siehe Männer wie Dschingis Khan) und als Warlord oder gar Imperator endete. All das trieb die Varianten der Gewaltkulturen in einem unvorstellbar grausamen Maße voran. Denn der, sich gewaltsam Privilegien aneignende Mann, kontrollierte als Vater/Herr/Besitzer das Leben um sich herum. Diese Kontrolle konnte nur durch nie abreißende Gewalt aufrecht erhalten werden. Er schützte damit sich und seine Verbündeten. Der Gewalt praktizierende Mann ward Angreifer, Räuber und Krieger sowie Leid und Tod bringender Eroberer – er war der Prototyp des Geiselnehmers. Eroberung und die damit einhergehende Zerstörung – wurd für das Männliche eine Art Lieblingsbeschäftigung, die bis heute für bestimmte Männer nicht ihren Reiz verloren hat. Das männliche Gewaltprinzip, entweder ich oder die anderen, wurde zum Selbstläufer.

Die Frau als Objekt maskuliner Begehrlichkeit und als Spenderin von Mutterenergie, wurde permanent zum potentiellem Opfer von Verbrechen (kurzfristige gewaltsame Übergriffe bis hin zum Tod) sowie zur (Kriegs)Beute (meist langfristige bzw. lebenslange Gefangenschaft).
Die Frau verlor als Person ihre Selbstbestimmung und verkam zum verfügbarem Objekt – sie wurde Nutzvieh und Gebrauchsgegenstand, ein willfähriges Spielzeug von Männerlaunen und -begierden.
Die Züchtungsexperimente der erstandenen Hirtenkultur weitete mann auf die Mitmenschen, also vor allem auf die Frau und ihre Kinder aus. Eine der grausamen Traditionen, die unfassbarerweise heute noch praktiziert wird, ist die genitale Verstümmelung von kleinen Mädchen. Hier wird besonders deutlich wie mann u.a. die Sexualität der Frau (und damit ihre Female Choice) bis heute unter Kontrolle brachte.
Die Patriarchose wurde zum gut ausgebautem Gefängnis für jede Frau. Und als Frau und Mutter ging sie nur deshalb nicht zugrunde (und damit die Spezies Mensch), weil sie mit der unglaublichen Resilienz der Naturwesen ausgestattet ist, die sie bzw. uns in der Regel oft auch unter wahnwitzigsten und brutalsten Bedingungen überleben lässt.
Zudem gab ab hier der Mann, weil (auch eheliche) Vergewaltigung zum Standard wurde, die Anzahl der Schwangerschaften vor, ohne Gesundheit und Leben der Frau zuberücksichtigen und setzte damit die Spirale der systematischen Überbevölkerung in Gang. Der bio-logische Effekt der Female Choice wurde unterdrückt bzw. außer Kraft gesetzt.

Der Mann als Erbauer des Patriarchats glaubte, seine machtvolle Erfindung befreie ihn von der Abhängigkeit, in die ein Natur-, ein Lebewesen eingebettet ist.
Die gegenseitige Verantwortung und Fürsorge in sozialer Balance und Kooperation, die das menschliche bzw. mütterliche Angehörigen-Kontinuum ausmacht, übte wahrscheinlich auf den sich abgespaltenen Nomaden-Hirten immer weniger Reiz aus, da er sich das Beherrschen von Lebewesen und ihr willkürliches Benutzen aneignete. Aus dem Stand der Hirtenkrieger ging so der Prototyp des Patriarchen hervor, der sich neben seinem Status als Machthaber auch als unsozialer und weiter verrohender Täter hervortat. Diesem vom Gemeinschaft- und Arterhalt abgekoppelten männlichen Selbsterhalt liegt ein aus Angst vor dem heroischen gegenseitigem Anspruch entstandener Kontrollwahn zugrunde und ist blanke Selbstsucht. Diese (Fehl)Entwicklung initiierte und förderte dramatisch die Un-Geborgenheit des (männlichen) Individuums in den neu definierten Sozialstrukturen. Wir können den Auftakt der Patriarchose als den Beginn einer permanenten Geiselnahme des Lebens definieren.

Mit einer Geisel sendet der Geiselnehmer immer ein Signal an die Gesellschaft. Zum einen fungieren Geiseln als eine Art Schutzschild für den Täter, der damit droht ihnen das Leben zu nehmen, wenn man ihn nicht gewähren lässt, zum anderen ist dieser Akt des Terrors eine Drohung in die Zukunft und ein Zeichen für alle, sich ihm nicht mehr in den Weg zu stellen. Darüber hinaus soll sich ab jetzt keiner mehr in Sicherheit zu wissen, der terroristische Gewalttäter schafft bei seinen Opfern eine nahezu traumatische Dimension. Auch das ist ein Grundzug des Patriarchats, dass auf dem sich selbst isolierendem Bestreben des Mannes die Überzeugung fußt, im Alleingang zu überleben. Und so kam es zu dem absurden Phänomen, dass der Mann als solches, die Rollen eines potentiellen Gewalttäter und gleichzeitig die des heldenhaften Beschützers (seines Besitzes wie Frau und Kind) einnahm. Der nun mehr so entstandene gewaltbereite Androkrat (Patriarch) mit Herrschaftsambitionen im ganz banalen Alltag ist männlich und hält bis heute die Welt in Atem.

Das heißt, wir haben es hier nicht, wie gern euphemistisch deklariert, mit dem neuen Mann zu tun, der eine Kulturgesellschaft erbaute – wissbegierig, experimentierfreudig und zukunftsorientiert, sondern mit den verlorenen Jungs, die das eigene Matrifokal zerstörten und leider ihre Stress bedingten und Testosteron gefluteten Aggressionen zur Grundlage einer Gesellschaftsordnung machten.
Der Mann, der verbrecherische Handlungen beging, der mit weitreichenden kollektiven Aktivitäten, wie Raubzügen und (Angriffs)Kriegen das friedfertige Leben des Kontinuums der Müttergemeinschaften zerstörte, der seine durchgeführten, rigorosen Unterwerfungen ideologisch untermauerte. Er zerstörte das urtümliche weibliche Brauchtum und die bereits seit langem vorhandene Kultur der Mütterlichkeit einer durch maskuline Gewalt geprägte Mythologie, Religionsideologien und lebensfeindliche Narrative und deformierte, versklavte skrupellos die Leben hervorbringenden (weiblichen) Lebewesen, allen voran die menschliche Mutter. Der Mann schuf sich so eine Basis für seinen selbstherrlichen (narzisstischen) und Macht ausübenden Alleingang.

Diese Art der patriarchal konstituieren Geiselnahme betraf je nachdem das Individuum, sowie kollektiv die friedfertigen urgemeinschaftlichen Matrifokale und brachte nicht nur als Merkmal des typischen Stockholmsyndroms hervor, sondern erwies sich auch bis heute als der ideale Nährboden für jede Art von psychopathologischen Störungen. Bis heute versucht die Frau in diesen Strukturen zu überleben und durch ihre systematische Vereinzelung kämpft fast jede für sich allein.

Die an Gewalt und rigider Kontrolle, Menschen- und Tierleid sowie an Tod und Zerstörung orientierte, denaturalisierte Entwicklung zog sich über einige Jahrtausende hin und ist bis heute nicht abgeschlossen. Die vor mindestens achttausend Jahren in Gang gesetzte Patriarchose expandiert immer noch.
Von einem sogenannten Postpatriarchat kann also noch lange keine Rede sein. In unseren Tagen begegnet mir immer wieder die idealisierte Vorstellung (gern auch unter Feministinnen), dass alles bereits gut ist oder sich doch zumindest auf einem guten Weg befindet. Im beschaulichen Mitteleuropa schien die Welt zwischenzeitlich auch fast in Ordnung und auch ich gab mich vor ein paar Jahren kurzzeitig der Illusion hin, wenn wir jetzt dranbleiben, kann sich das liberal gebende und fast schon Frauen-aufgeklärte Europa, die ersten wirksamen Grundlagen für kollektive Humanität schaffen und hat die reelle Chance ein matrifokales Sippengefüge wachsen zu lassen. Das Bedingungslose Grund-Einkommen könnte da ein Starterpaket sein und eine grundsätzliche Stärkung der Mutterkompetenz im Leben von nun mehr selbstbestimmten Frauen werden.
Was hat mich da nur geritten? Gerade hier schlug der patriarchöse Backlash zuerst zu. Nichts wuchs vor unser aller Augen schneller an, als die Vaterrechtsbewegung mit ihren neuen Mythen, ihrer rücksichtslosen Lobbyarbeit und den initiierten Gesetzesanpassungen, welche die Mütter noch mehr einschränkten und sie fast rechtlos zurücklassen. Eine neue Form der Geiselnahme, die jedoch diesmal auch und vor allem das Kind betrifft.

Nach wie vor ist das größte Geiseldrama der Patriarchose, die klassische bürgerliche Ehe und die idealisierte romantische Liebebis ans Ende alle Tage‚, unvermindert im vollen Gange. Und niemand scheint es zu bemerken. Beinahe jede Frau geht in die Ehe mit dem guten Gefühl, das große Los gezogen oder doch zumindest alles richtig gemacht zu haben. Sie kann ab sofort mit dem Partner, dem ihre (romantische) Liebe gilt, ihr eigenes Leben gestalten und frei von elterlicher (eigentlich väterlicher) Bevormundung und dem guten Gefühl eventuellen zukünftigen Kindern ein Zuhause und einen Vater bieten zu können. Denn ein moderner Mythos sagt: ein Kind braucht seinen Vater. In diesem Gedanken schließt sich der patriarchale Kreis.
Geheiratet zu haben oder in einer Beziehung zu leben, mit Treueanspruch und dem Dauerversprechen alles gemeinsam durchzustehen, heißt immer noch, dass für die Frau (und zukünftige Mutter) scheinbar alles gut ist. Denn hier und heute darf sich auch eine Frau ihren Partner aussuchen und unterliegt nicht mehr dem Zwang einer lebenslangen Ehe-Haft. Unsere Konditionierung treibt uns an, auf gar keinen Fall die kulturelle Deadline(*) zu verpassen.

Auch die alleinerziehende Mutter ist nicht gänzlich frei davon. Alleinsorgende Mütter werden in der Gesellschaft auch deshalb nicht genug wahr- und ernstgenommen, weil sich immerhin ihr Alleinstand jederzeit ändern könnte. Das oberste Gebot unserer (modernen patriarchalen) Kultur ist schließlich die Partnersuche. Auch als alleinerziehende Mutter möchte frau alles richtig machen und nicht immer ist es ein bewusster rebellischer Akt, ihre Kinder ohne Vater großzuziehen; manche sind einfach nur Opfer der Umstände und hätten so gern eine „richtige, kleine Familie„.

Die selbstbestimmte Frau, die zudem auch noch ihrer Female Choice freien Lauf lässt, hat immer noch keinen wirklichen Platz zum Leben auf dem patriarchösen Spielplatz der großen Jungs (und wird sie dort auch nie haben). Unsere, auf dauerhaft romantisch angelegte, Liebes-, Ehe-, Paarbeziehungs- und Partnerschaftsverquickungen unserer Sozial- und Gesellschaftskultur, wird nach wie vor und nahezu auf allen Ebenen und in allen Medien gehypt sowie von der Politik auf gar keinen Fall in Frage gestellt.
Der Medienmainstream  konserviert die aktuellen Ideale, die eigentlich nur gestrig sind und (oh Schande) die ‚Wissenschaft‘ stellt das (Ehe)Paar immer noch gern als naturgegeben dar.
Und alles geschieht, so scheint es, um die permanente Geiselnahme von Mutter und Kind vergessen zu lassen. Aber Mutter und Kind sind nicht der einzige dauerhafte Kollateralschaden der Patriarchose. Der Mann schuf sich einst das Patriarchat, um nun bis ans Ende seiner Tage selbst innerhalb dieser unerfreulichen Strukturen um sein Dasein zu kämpfen und damit auch ein Opfer der Umstände zu sein. Wieviele Männer wollen wohl als Geiselnehmer oder als Täter allgemein im Alltag, wahrgenommen werden? Ich kenne keine!

Die anonyme Großgesellschaft, in der wir uns alle einrichten müssen, hat mit ihren Mechanismen und ihrer Infrastruktur eine Art Mutter-Part übernommen, den sie für das Individuum jedoch gar nicht leisten kann. Entweder die/der Mensch überlebt im patriopatischen Alltag oder nicht – die amorphe Gesellschaft ist daran nur marginal interessiert. Und so wird immer noch kollektiv geduldet, dass schwere Verbrechen als Familientragödie oder Eifersuchtsdrama verharmlost werden und Frauen sich sogar noch schuldig fühlen, weil sie den Täter mit ihrem Verhalten provozierten. Erst langsam wächst das Bewusstsein, dass die Schuld nicht bei den Opfern, sondern bei den Tätern liegt.
Die höchste Eskalationsform der Angriffe auf Frauen, der Mord oder Totschlag einer Frau, wird heute wenigstens schon Femizid(**) genannt. Diese Verbrechen jedoch wirksam zu verhindern gelingt unserer Gesellschaft immer noch nicht (und wird es im Patriarchat wohl auch nie). Dazu stecken Gesetzeshüter und Justiz, Politik und Mainstream selbst zu sehr in ihrer eigenen Variante des Stockholmsyndrom fest. Außerdem ist es Gang und Gäbe, dass kulturelle Traditionen und diverse Religionsvorschriften der Frau/Mutter ihre Selbstbestimmung verwehren und so manche der betroffenen Frauen sorgt in vorauseilendem Gehorsam, dass ihre Töchter auch die Guideline der Patriarchose einhalten. Stockholmsyndrom eben!
Und der Mann? Von beiden Extremen betroffen, ist er auch immer wieder Täter und – frag den einzelnen Mann – will es eigentlich nicht sein. Denn auch ihm wurde das mannkreierte Patriarchentum in die Wiege gelegt und zwingt ihn mitzumachen. Doch es schmeichelt ihm auch, denn Privilegien sind immer gut! Aber, und das ist für jedes Kind im Manne lebenswichtig, er weiß schon längst nicht mehr, wo er selbst die dringend benötigte Geborgenheit im Hierarchiezirkus der Patriarchose herbekommen soll, welche Zu- bzw. Angehörigkeit ihm seine Identität gibt, mit der er wieder unbeschwert unter Geschwistern leben könnte, ohne zum Täter zu werden.

Stephanie Ursula Gogolin, Oktober 2019

(*) die Soziologin Denise Donnelly „…spricht von einer »kulturellen Deadline«, die die Betreffenden subjektiv verpassen.“

(**) Wikipedia: Femizid (‚Frauentötung‘; aus englisch femicide, analog zu englisch homicide ‚Tötung eines Menschen‘ in Anlehnung an lateinisch femina ‚Frau‘ und lateinisch caedere ‚töten‘) ist die Tötung von Menschen weiblichen Geschlechts.

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7 Gedanken zu “Das patriarchale Stockholm-Syndrom Teil II

  1. Charmanter Lügner

    Eine präzise Beschreibung der derzeitigen Zustände. Vor allem Teil II habe ich gerne gelesen. Leider ist nichts davon übertrieben. Ähnliche Gedanken gehen auch mir durch den Kopf. Und mit fast niemandem kann ich diese teilen, weil keine/r die Bedeutung und Tragweite versteht. Das Wort Patriarchat wird oft in den Mund genommen, aber selten verstanden. Dieser Artikel klärt auf. Danke!

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